Migranten in Berlin

Araber in Berlin

Araber in Berlin

Araber in Berlin – ein historischer Abriss

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Die Berliner und Berlinerinnen arabischer Herkunft stammen aus etwa zwanzig verschiedenen Staaten . Dennoch verbinden die meisten gemeinsame kulturelle und religiöse Traditionen,  nicht zuletzt die Sprache . Manche von ihnen  wurden als Arbeitnehmer angeworben , manche kamen als Studenten , andere als Geschäftsleute . Viele suchten als Flüchtlinge Zuflucht vor Verfolgung ,  Vertreibung und Bürgerkrieg. Durch den Umzug vieler Botschaften und Vertretungen von Bonn nach Berlin ist das arabische Berlin noch vielfältiger geworden , denn auch Diplomaten , Journalisten, Korrespondenten und Wirtschaftsvertreter arbeiten heute  in der deutschen Hauptstadt . Mehrere Zehntausend arabische  Berliner und Berlinerinnen sind präsent in allen Bereichen des städtischen Lebens : in Gastronomie , Wirtschaft , Wissenschaft , Kunst und Kultur. Historisch gesehen, kann von einer alten Bindung und von älteren Wurzeln gesprochen werden, da es schon in den 20iger Jahren des letzten Jahrhunderts eine aktive arabische Szene gab und zahlreiche Vereine und Organisationen viele Zeitschriften , die meisten davon in deutscher Sprache, herausgaben. Grob geschätzt, leben heute annähernd 35.000 Araber in Berlin. Arabische Akzente finden sich inzwischen überall in der Stadt. Dazu gehören nicht nur Restaurants oder Imbissbuden mit arabischen Gerichten, oder Bäckereien. Viele “typisch italienische” Pizzerien werden von arabischen Gastwirten geleitet.

Der erste Araber , der nach Brandenburg kam , war ein jüdischer Araber , der aus dem Al Andalus -das islamische Spanien, in dem die  Umayyaden herrschten – möglicherweise wegen einer politischen Mission im 8.Jahrhundert und auch als Kaufmann, das Land besuchte . Er hat darüber einen Bericht verfasst , der in den anderen Werken arabischer Autoren überliefert wurde. Unter den wenigen, die auch Deutschland besuchten, war der aus Beirut stammende Salim Bustrus (1839-1883). Zwischen März und Oktober 1855 unternahm der damals Sechzehnjährige eine Reise, die ihn nicht nur nach Italien, Frankreich, Großbitannien, Belgien, Österreich-Ungarn und Sachsen führte, sondern auch nach Berlin und Potsdam. Er war damit nach Ibrahim ibn Ya´qub al-Isra´ili vermutlich der zweite Araber, der Brandenburg bereiste und darüber – ein Jahr später – berichtete.Die nächsten Araber folgten im 19. Jahrhundert. Es war die erste ägyptische Studentenmission, die Abbas der I. , der Nachfolger von Mohammed Ali  gesandt hatte . Sie umfasste 9 junge Leute, die Medizin, Pharmazie und Militärwissenschaft studierten .  Der Grund dafür waren Reformbemühungen in Ägypten und dem Osmanischen Reich. Erst mit dem Deutsch-Französischen Krieg (1870/71), an dem auch Araber teilgenommen hatten (algerischen Schützen, sogenannte Turkos), kamen wieder Araber nach Berlin, diesmal allerding als Kriegsgefangene. Ein Denkmal auf dem Garnisonfriedhof am Columbiadamm erinnert an sie.

Nur wenige Jahre nach der Gründung des Reiches besuchte der Ägypter Nakhla Salih (?-1899) dessen Hauptstadt. Der Bericht darüber erschien 1876 in Kairo. Er rechnete Berlin “zu den schönsten Städten Europas”. Im Unterschied zu anderen Städten empfand er Berlin aber “wie eine Ödnis … wiel es trotz seiner Größe und der Vielzahl der Märkte so wenig Einwohner hat”.
Als sein Landsmann Mohammed Amin Fikri (1855-1899) 24 Jahre später die Reichshaupstadt aufsuchte, hatte Berlin anderthalb Millionen Einwohner. Fikri, der sich nur 6 Stunden in Berlin aufhielt, nannte die Stadt die “drittgrößte Europas”.
Wesentlich länger blieb Hassan Taufiq (1862-1904) in der Stadt, der darüber in einem Büchlein berichtete, das 1890 in Kairo erschien; er wurde nämlich 1887 als Lektor für das Ägyptisch-Arabische am Seminar für Orientalische Sprachen (SOS) eingestellt, dem er fünf Jahre lang angehörte. Das SOS war im selben Jahr an der Friedrich Wilhelms -, der jetzigen Humboldt-Universität gegründet worden, um den rasch wachsenden Bedarf des Reiches vor allem an Dolmetschern für den Kolonial- und den auswärtigen Dienst decken zu können. Neben dem Ägypter war Amin Ma´arbes (1851-1915) für Syrisch-Arabisch eingestellt worden, und 1891 folgte Muhammed Bu Selham für das Marokkanisch-Arabische. Diese Praxis, muttersprachige Lehrkräfte für den Unterricht heranzuziehen, wurde bis zum Anfang der vierziger Jahre fortgesetzt, als aus dem SOS längst die Auslandhochschule bzw. die Auslandswissenschaftliche Fakultät der Universität geworden war. Dadurch war es auch zum ersten Male möglich geworden, dass Araber über längere Zeit in Berlin leben konnten; Ma´arbes nahm übrigens die deutsche Staatsbürgerschaft an. Im politischen und kulturellen Leben der Stadt spielten einige Lektoren später eine nennenswerte Rolle.

 

“Völkerschau”

Spektakulärer gestaltete sich der Aufenthalt von Arabern, die seinerzeit aus einem ganz anderen Grunde nach Berlin kamen: als Teilnehmer an den sogenannten Völkerschauen. Das waren Veranstaltungen, auf denen in Zoologischen Gärten, in Parks und Etablissements neben exotischen Pflanzen und Tieren fremde Menschen gezeigt wurden, in Berlin seit dem Ende der siebziger Jahre auch solche aus Ägypten und dem Vorderen Orient. Die Völkerschauen boten – der Zeit gemäß – durchaus Gelegenheit für die Bevölkerung, mit anderen Völkern und Kulturen in Berührung zu kommen; indessen waren sie häufig zugleich ein Mittel der Kolonialpropaganda und geeignet, nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern auch Vorurteile und Klischees zu reproduzieren.
Obwohl zu lesen war, “dass die Leute vollauf Gelegenheit finden, ihren rituellen und sonstigen Eigenthümlichkeiten nachzuleben” (Krug), blieben die Lebensumstände der in einem Barackenlager hinter der “Muayyad-Moschee” untergebrachten Araber weitgehend im Dunkeln. Immerhin gab es in den Berliner Tageszeitungen eine Reihe von Berichten, in denen auf Beschwerden der Teilnehmer über ihre schlechte Behandlung hingewiesen wurde.

 

Besonderes Aufsehen erregten die Klagen des 2,40 Meter messenden “Riesen” Hassan Ali (1878-?) und einer Gruppe von sieben Ägyptern, die von der Gesellschaft “Kairo” angeblich wegen Arbeitsverweigerung entlassen worden waren. Die Gerichtsverhandlung ergab, dass die Ägypter erst die Arbeit verweigerten, nachdem sie vergeblich die Auszahlung der ihnen zustehenden Löhne verlangt hatten. Hassan Ali forderte die Auszahlung seines Lohnes für die vergangenen zwei Jahre in Höhe von 960 Mark und die Rückgabe der ihm abgenommenen Trinkgelder in Höhe von 470 Mark. Das Ergebnis der Ermittlungen und das weitere Schicksal von Hassan Ali sind leider nicht bekannt. An die Gruppe der sieben Ägypter sollte die Gesellschaft jeweils 158,05 Mark zahlen. Obdachlos geworden, wurden sie wenig später offenbar ohne das Gehalt nach Ägypten abgeschoben.

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Hassan Ali und der Magistratsdiener Schulz vom Gewerbegericht

 

 

Mustafa Kamil

kamilEtwa zur selben Zeit hielt sich ein Ägypter in Berlin auf, dessen Lebensziel es war, seine Landsleute nicht als Untertanen, gar als Ausstellungsobjekte, sondern als freie Menschen zu erleben. Es war Mustafa Kamil (1874-1908), ein ägyptischer Patriot, der die Losung des Urabi-Aufstands “Ägypten den Ägyptern” aufgegriffen hatte und an der Spitze der damals noch jungen Freund Nationalbewegung die Unabhängigkeit seines Landes von der britischen Herrschaft erstrebte. Bei seinen Europa-Reisen, auf denen der aus wohlhabender Familie Stammende seine politischen Absichten erläuterte, die er mit Frankreichs Hilfe zu verwirklichen hoffte, besuchte er auch mehrmals Berlin, zum ersten Mal 1896.
Kamil erblickte in einem deutsch-osmanischen Bündnis Hilfe für Ägypten. Die ägyptische “Nationalpartei”, die er 1907, kurz vor seinem Tode, noch zu gründen vermochte, blieb lange der Illusion treu, mit Hilfe Deutschlands und des Osmanischen Reiches Ägypten von der britischen Herrschaft befreien zu können.
In diesem Sinne handelte auch Kamils Mahmud Labib Muharram, der sich 1910 in Berlin niedergelassen und hier eine Deutsche geheiratet hatte. In Gesprächen mit Politikern und in Zeitungsartikeln warb er für das deutsch-osmanische Bündnis, vor allem aber für Deutschlands Unterstützung der Ägypter sowie der Libyer, gegen die 1910/11 Italien einen Kolonialkrieg führte. In diese Tätigkeit versuchte Muharram andere Ägypter einzubeziehen, die in Berlin lebten, vor allem Studenten, die seit 1909 wieder nach Deutschland kamen; 1912 waren es bereits 20. Zu diesem Zweck gründete er 1911 den “Ägyptischen Bund”, die erste Organisation in Deutschland lebender Araber. Am 4. September 1913 starb Muharram in Berlin.
Als ein Jahr später der Erste Weltkrieg ausbrach, schien seinen Parteifreunden, aber auch anderen Arabern der Moment nahe, da sich ihre politischen Wünsche endlich erfüllen sollten; dies um so mehr als der Sultan-Kalif in Istanbul, das nominelle Oberhaupt aller Muslime, am 11. November 1914 den Dschihad, den “heiligen Krieg”, gegen Frankreich, Großbritannien und Russland, die Entente also, ausrief und sich das Osmanische Reich tags darauf den Mittelmächten Deutschland und Österreich-Ungarn anschloss. Führende Mitglieder der ägyptischen Nationalpartei kamen nun Aus dem Istanbuler – und Schweizer Exil nach Berlin, desgleichen Vertreter anderer arabischer Nationalbewegungen, vor allem solche aus dem französisch besetzten Nordafrika.

 

Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hatte für die in Berlin lebenden Araber weitreichende Folgen. Ägypter und Araber, deren Regierungendie diplomatischen Beziehungen mit Nazideutschland abgebrochen hatten, waren als Erste betroffen: Iraker mussten sich bei den Polizeibehörden melden, Ägypter wurden auf Weisung des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, interniert. Später, als Deutschland mit der Entsendung des “Afrika-Korps” nach Nordafrika und der Bildung der “Militärmission nach dem Irak” in die militärische Phase seiner Nahostpolitik eintrat, änderte sich die Stimmung und Hitler befahl “die Ausnutzung der arabischen Freiheitsbewegung” für die deutschen Kriegsziele. Dazu gehörten Rundfunkmeldungen in arabischer Sprache, die Einflussnahme auf arabische Zeitungen und Zeitschriften sowie die Pflege von persönlichen Kontakten zu einzelnen Arabern. Bewusst wurden sie in den deutschen Propagandaapparat eingespannt.

Viele von ihnen waren erst kurz vorher aus mittlerweile von Deutschland okkupierten Ländern nach Berlin gekommen, hatten in Frankreich studiert oder waren aus Syrien und dem Libanon geflohen, als britische und gaullistische Truppen diese Länder besetzten. Ein wichtiger Grund dafür, dass sie mit den Nazis kollaborierten, war sicher die Illusion, dass Deutschland ihnen bei der Befreiung ihrer Heimatländer von kolonialer Herrschaft behilflich sein könnte.

 s003Über ein Jahrhundert später ist mit Nadia Abdel Farrag, genannt “Naddel”, eine Frau arabischer Herkunft zum Liebling der Medien avanciert.

Abdel Farrag, die 35-jährige Tochter eines deutsch-sudanesischen Paares, wurde als Freundin von Pop-Sänger Dieter Bohlen zum Star. 1999 wählten sie 21 Prozent der Deutschen in einer Umfrage des Forsa-Instituts zur vierterotischsten Frau Deutschlands. Im bunten Blätterwald heißt es, sie sei “sehr konservativ, moslemisch” aufgewachsen, “sollte schon mit 14 Jahren ihren Cousin heiraten, konnte sich aber durchsetzen”. Da haben wir sie schon – die stereotypen Vorstellungen. Abdel Farrag entspricht ihnen gar nicht. Sie hat Apothekenhelferin gelernt, doch der Job gefiel ihr nicht. Sie arbeitete abwechselnd in einer Boutique oder als Model. Eigentlich wollte sie Fotografin werden, doch dann lernte sie Bohlen kennen und tourte bei “Modern Talking” mit. Im Jahr 2000 moderierte sie das RTL-2-Erotik-magazin “Peep”, beleidigte den Kanzler, entschuldigte sich und gehört spätestens seit ihrer Trennung von Bohlen unverzichtbar zum Prominentenstadl der Nation.

Sie ist aber durchaus nicht die einzige Medien-Prominente oder interessante Persönlichkeit mit arabischem oder binationalem Hintergrund in Deutschland. Da ist Lillian Kadhrawi, die im November 2000 bei “Big Brother” einzog.untitled21  Sie hat arabisch-italienische Eltern. Einen marokkanischen Vater hat Nadja Benaissa, eines der fünf Mitglieder der 2001 mit enormem Medienrummel von RTL II zusammengestellten Girl Band “No Angels”. Die 19-jährige allein erziehende Mutter aus Dreieich bei Frankfurt wurde aus 4.200 Mädchen ausgewählt, bekam einen Plattenvertrag und wird zurzeit über die Stationen BILD, Bunte, Bravo, “Harald Schmidt”-Show und so weiter zum Star gemacht.

Eher im Hintergrund – im Redaktionsteam der RTL-Erfolgssendung “Wer wird Millionär?” – arbeitet Faruk Hosseini. Viele arabischstämmige Journalisten arbeiten für deutsche Medien, über ein Dutzend allein bei der Deutschen Welle. Bei Radio MultiKulti des Senders Freies Berlin ist Haroun Sweisharouns_file für das Arabisch-Programm zuständig und der tunesische Moderator Nouri Ben Redjeb spielt Weltmusik à la Carte. Die arabischsprachigen Sendungen von Radio MultiKulti bieten Arabern eine der wenigen Möglichkeiten, sich von unabhängiger Seite über ihre Herkunftsländer zu informieren.

Ferner sind viele Künstler zu nennen. Musiker mit Weltruf, wie Rabih Abou Khalid und Hamid Baroudi, der in Berlin lebende irakische Regisseur Awni Karoumi  untitled7 , die arabischen Schauspieler des Berliner Masrath-Theaters, die Algerien-Französin und Installationskünstlerin

 Nicole Guirand, vor allem aber die vielen Exildichter arabischer Herkunft, wie die Märchenerzähler Rafik Schami aus Syrien sowie Jusuf Naoum aus dem Libanon. Das Interesse an Exildichtern ist in Deutschland relativ gering.

Rafik Schami  untitled6 aber ist hier zum – deutschsprachigen – Bestsellerautor geworden.

Viele renommierte arabische Ärzte praktizieren in Deutschland, unter anderem der Palästinenser Nabil Bushnaq. Als Gründer und Vorsitzender des Ibn-Rushd-Fonds für die Freiheit des Denkens e.V. setzt er sich für verfolgte Intellektuelle ein. Andere bereichern die deutsche Wissenschaftslandschaft – vom Islamwissenschaftler Prof. Jamal Malik (Universität Erfurt) über den deutsch-syrischen Politologen Prof. Bassam Tibi (Universität Göttingen) und seinen Kollegen Amr Hamzawy (FU Berlin) sowie den ägyptischen Kunstprofessor Hamdi Al-Attar (Universität/Gesamthochschule Kassel), um nur einige Beispiele zu nennen.

Wiederum andere sind politisch aktiv, wie Nadeem Elyas, Vorsitzender des Zentralats der Muslime in Deutschland, Abdalla Frangi, Generalvertreter der Palästinenser in Deutschland oder auch der grüne Landtagsabgeordnete Tarek Al-Wazir (Hessen) und der nun fraktionslose Abgeordnete Jamal Karsli (NRW). Al-Wazir ist seit 1999 Fraktionsvorsitzender der GRÜNEN im hessischen Landtag. Geboren in Offenbach als Sohn eines jemenitischen Diplomaten und einer deutschen Mutter wurde der 30-jährige Student im August 2000 dadurch bundesweit bekannt, dass ein anderer Abgeordneter ihn bei einer hitzigen Debatte mit “Geh doch zurück nach Sana’a” beschimpfte.

 

Quellen:

·         http://www.muz-online.de/leute/araber1.html  – Araber in Berlin

·         Der Bericht ist ein Auszug aus der Broschüre “Araber in Berlin”, Frank Gesemann, Gerhard Höpp, Haroun Sweis (Autoren), Die Ausländerbeauftragte des Senats von Berlin (Hg.), 1998.

·        Von interessanten Exoten zu verdächtigen Nachbarn – Arabische Migranten in Deutschland vor und nach dem 11. September (von Ekkehart Schmidt-Fink)

·         http://www.papyrus-magazin.de/archiv/2002_2003/september/9_10_2002_arabischemigranten.html

 

 

 

1 Comment »

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